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1. Einführung
Trotz des großen Befreiungsstreiks der Alliiertenvölker gegen das Regime des deutschen Nationalsozialismus und dessen Abbau erlebte das Phänomen der Angst entgegen anders lautender Erwartungen einen echten Aufschwung. Angst sollte daher ein zentrales, allen Zweigen gemeinsames Problem der Wissenschaft sein, denn jede Art von Angst beeinträchtigt die Freiheit der persönlichen Entscheidung bis zur Unmöglichkeit – nur ein furchtloser Charakter kann frei entscheiden -, aber die Wissenschaft im Allgemeinen hat die Bestimmung der menschlichen Freiheit als dringende Aufgabe. In seinem hier vorgestellten Aufsatz geht er auf das Angstproblem aus Sicht des Politikwissenschaftlers ein, bezieht sich aber auch ausführlich auf Autoritäten in anderen Bereichen, darunter die theoretischen Erkenntnisse von Siegmund Freud, die er für überzeugend und noch nicht widerlegt hält.
In modernen Gesellschaften ist dies jedoch nicht mehr der Fall – wenn überhaupt -, indem das universelle menschliche Potenzial auf individuelle Prozesse in Arbeit und Sozialleben reduziert wird, wird der Einzelne von sich selbst entfremdet. Eine Fragmentierung der eigenen Umgebung und hierarchische Arbeitsprozesse erlauben es den Menschen nicht mehr, ihre Fähigkeiten als Ganzes zu verstehen, sondern sie in einzelne Bereiche, z.B. Liebe, Arbeit, Freizeit, Kultur, zu unterteilen, die durch einen von außen wirkenden, unver
ständlichen Mechanismus zusammengehalten werden. Das von ihm entfremdete Werk entfremdet den Menschen nicht nur die Natur und seine eigene Funktion, sondern auch seine Beziehungen zu sich selbst und seinen Mitmenschen, die verdinglicht und objektiviert werden. Für Marx, Schiller oder Hegel (Georg Wilhelm Friedrich Hegel war ein deutscher Philosoph und eine wichtige Figur des deutschen Idealismus) ist der Mensch dieser Gesellschaften also ein verstümmelter Mensch. Trotz seines wichtigen Ansatzes hält Neumann diese Theorie für ergänzungswürdig. Ihr Problem liegt daher darin, dass es keine Gegenüberstellung des universellen Menschen/Menschen geben kann, da ein universelles Wesen in keiner historischen Gesellschaftsform existiert hat und damit eine utopische Größe darstellt, mit der keine sozial verständliche Form der menschlichen Existenz verglichen werden kann. Dieser Einwand wird durch eine Differenzierung der Entfremdung in drei Ebenen deutlich: die der Psychologie, die der Gesellschaft und die der Politik . Nur eine zunächst saubere Scheidung und die anschließende Konsolidierung dieser drei Schichten wird es ermöglichen, das Problem der Entfremdung und damit der Angst in der Politik zufriedenstellend zu lösen. Denn weder Entfremdung noch Angst sind Phänomene moderner Gesellschaften, sondern sie waren in jedem Staat und jeder Gesellschaftsstruktur zu finden, nur von ihnen in ihren Ausdrucksformen verändert. Ein wichtiger Punkt in dieser Reihe von Argumenten ist die Entfremdung des Menschen von sich selbst durch einen Verzicht auf den Instinkt, der jeder Gesellschaft innewohnt. Das Erreichen eines Gesamtzustandes des Glücks ist aufgrund der Einflüsse der Natur, der Vorahnung des Todes und sozialer Institutionen bereits unmöglich. Dass diese repressiven gesellschaftspolitischen Institutionen nicht zu kultureller Feindseligkeit führen, ist auf unausweichliche menschliche Konflikte zurückzuführen, die durch die bloße Begrenzung libidinaler und destruktiver Instinkte verursacht werden. Laut Freud ist es daher nicht leicht zu verstehen, wie es möglich gemacht werden kann, einem Instinkt seine Zufriedenheit zu nehmen. Wird dieser Verzicht nicht wirtschaftlich kompensiert, können schwerwiegende Störungen im Einzelnen auftreten. Nun gibt es auch hier keine ideale, alle befriedigende Gesellschaftsform, der Verzicht auf Triebe ist in allen Phasen einer Gesellschaft zu finden und wird als psychologische Entfremdung des Menschen bezeichnet, besser noch Entfremdung des Egos von der Dynamik der Triebe. Aber wo ist der logische Zusammenhang zwischen den Formen von Entfremdung und Angst herzustellen? Das Problem dabei ist, dass die Angst als solche noch nicht fest genug definiert ist, um klare Vergleiche und Bezüge zu anderen Konzepten herstellen zu können. Von den zahlreichen Theorien zu diesem Thema, z.B. Freuds Analyse der Angst als Unterdrückung libidinaler Impulse oder Ranks Geburtstrauma (The Trauma of Birth ist ein 1924 erschienenes Buch des Psychoanalytikers Otto Rank, das 1929 erstmals in englischer Übersetzung veröffentlicht wurde), kann man zwei Arten von Angst klar unterscheiden: die reale Angst als Reaktion auf konkrete, äußere Gefahrensituationen und die vom Ego hervorgerufene neurotische Angst zur präventiven Vermeidung selbst der geringsten Bedrohung einer nicht unbedingt unwirklichen Gefahr. Die Differenzierung dieser beiden Formen der Angst ist für das politische Verständnis der Bedeutung von Angst sehr wichtig. Neurotische Angst resultiert oft aus psychologischer Entfremdung, dem ewigen Kampf des Egos, dem instinktiven Verhältnis, gegen das Ego, der Struktur der Instinkte. Der Verzicht auf Triebe bedeutet Schuldgefühle, Selbstrepression, das Bedürfnis nach Selbstbestrafung, die innere Angst wird zu einem Zustand der Dunkelheit. Wenn es auf äußere Gefahren und damit verbundene reale Ängste stößt, können sich beide Formen der Angst summieren und zu depressiven oder Verfolgungsängsten verkommen. Angst muss nicht unbedingt destruktiv wirken, Menschen lähmen oder in Panikangst verfallen und freie Entscheidungen unmöglich machen. Es kann auch eine heilsame, schützende Rolle spielen, die es den Menschen ermöglicht, unmittelbare Gefahren wahrzunehmen und abzuwenden. Ebenso kann es eine kathartische (d.h. “Reinigung der Seele”) Wirkung haben, den Menschen innerlich stärken, indem es eine Gefahr durch die Überwindung der eigenen Ängste erfolgreich überwindet und ihn so in zukünftigen Entscheidungsprozessen freier macht. Diese Angstunterschiede helfen uns, die politische Funktion der Angst besser einzuschätzen. Worauf basiert die Anziehungskraft von Führern und Massen? Was ist das historische Bild von denen, die Leiter akzeptieren? Im Zentrum der massenpsychologischen Analyse steht die Frage nach der Art der Identifikation von Masse und Führer, ohne die das Problem der Integration oder Kollektivierung des Individuums in einer Masse nicht verstanden werden kann. Es muss darauf geachtet werden, dass die Vorurteile gegenüber der Masse, die sich zwangsläufig aus den Erfahrungen dieses Jahrhunderts ergeben haben, in den Hintergrund treten. Der communis opinio sieht die Massen als Pöbel, Gruppen von Menschen, die zu allem bereit sind, in denen das Individuum zum Barbaren, zur treibenden Kraft degradiert wird. Dies ist jedoch eine angemessene Beschreibung der sozialpsychologischen Bedingungen, aber keine nützliche theoretische Analyse des Grundes. Die Basis, die eine Masse zusammenhält, ist die Summe der gehemmten Triebe. Die starke Identifikation der Masse mit einem Leiter, insbesondere in Angstsituationen, basiert auf einer intensiven Bindung beider Teile aufgrund der gleichen Hindernisse der Libido. Damit wird die logische Beziehung zwischen Entfremdung und Massenverhalten hergestellt. Die Massenidentifikation mit einem Führer ist eine Entfremdung, die einen doppelten Rückfall des Menschen darstellt: einerseits stellt sie eine historische Regression dar, indem sie den Prozess der fortschreitenden Individualisierung umkehrt; andererseits ist sie eine psychische Regression durch einen Schaden oder gar einen Verlust des eigenen Egos in der Masse. Aber da dies nur für eine libidobesetzte, affektive Identifikation eines Individuums in einer Masse mit einem Führer gilt, aber nicht unbedingt – vielleicht überhaupt nicht – für “Liebende”, kleine Gruppen von Menschen oder Organisationen (Kirche, Armee (Die Kirchenarmee ist eine evangelistische Organisation, die in der Kirche von England gegründet wurde und heute in vielen Teilen der anglikanischen Gemeinschaft tätig ist))), muss man daher Unterschiede machen. Es gibt zum Beispiel unwirksame Identifikationen, bei denen Zwang oder gemeinsame materielle Interessen eine große Rolle spielen, entweder in bürokratisch-hierarchischer oder kooperativer Form. So kann man im Allgemeinen behaupten, dass die libido-besetzte (affektive) Identifikation mit einem Führer regressiver ist als die Libido (Libido, umgangssprachlich bekannt als Sexualtrieb, ist der allgemeine Sexualtrieb oder der Wunsch nach sexueller Aktivität einer Person) -freie (unbeeinflussbare) Identifikation mit einer Organisation, die ein Aussterben des Egos durch rationalistische Elemente und vorhersehbare Momente verhindert. Aber auch innerhalb der affektiven Identifikation kann man zwischen einem kooperativen und einem kaesaristischen Typ unterscheiden. Der kooperative Weg sieht eine – in der Geschichte meist kurze – Vereinigung vieler Gleichgestellter zu einem oft nur kleinen kollektiven Ego vor, in dem das individuelle Ego verschmelzen und Produktivität und Substanz gewinnen kann. Häufiger vertreten und damit für uns entscheidend ist nur der kaesaristische Typ, die affektive Identifikation von Massen mit Führern. Caesaristische Identifikation und falsche Konkretheit: Caesaristische Identifikationen spielen in der Geschichte oft eine Rolle, wenn die Situation der Massen objektiv gefährdet ist, wenn sie nicht in der Lage sind, historische Prozesse zu verstehen, und wenn die daraus resultierenden Ängste geschickt in neurotische Ängste umgewandelt werden können. Aber nicht jede gefährliche Situation muss dazu führen, nicht jede Massenbewegung muss auf Angst basieren und kaiserlich sein. Unter welchen historischen Bedingungen versucht also eine regressive Massenbewegung unter einem Führer, politische Macht zu erlangen? Zunächst muss man auf einen Hinweis hinweisen, der es uns ermöglicht, den regressiven Charakter einer solchen Massenbewegung frühzeitig zu diagnostizieren. Wo immer es in der Politik zu affektiven Führerkennungen (z.B. Caesarist) kommt, haben die Massen und Führer eine sehr konkrete Sicht der Geschichte: Das Unglück der Massen resultiert ausschließlich aus einer Verschwörung bestimmter Personen oder Gruppen gegen das Volk. (Als Beispiel können wir nur die angebliche “Verschwörung des Weltjudentums” nennen, die von den Nationalsozialisten gegen das Deutschland der 20er und 30er Jahre propagiert wurde). Dieses Bild der Geschichte mag eine falsche Konkretheit sein, aber es besitzt immer ein Körnchen Wahrheit, so klein es auch sein mag. Sonst könnte es nicht überzeugend sein. Je falscher das historische Bild, desto regressiver ist die Bewegung. Die “teuflischen Verschwörer”, die Feinde, in der Analyse nur als Sündenböcke darzustellen, ist eine eklatante Missachtung der Fakten. Die Feinde sind da, damit die Massen als echte Feinde aufgespürt und zerstört werden können. Mit diesem Geschichtsbild soll die reale Angst, die auf Krieg, Elend, Anarchie usw. basiert, in neurotische Angst verwandelt und durch totale Identifikation mit dem Führer – d.h. völliger Selbstverlust – überwunden werden. Die Tatsache, dass die Interessen des Leiters nicht unbedingt denen der Masse entsprechen müssen, darf hier nicht betont werden. Eine Verbindung zwischen diesem historischen Bild und dem Kaiserschnitt zeigt sich an historischen Beispielen, wie Cola di Rienzo (Cola di Rienzo war ein italienischer Mittelalterpolitiker und Volksführer, Tribun des römischen Volkes in der Mitte des 14. Jahrhunderts) Aktion in Rom (das antike Rom war ursprünglich eine kursive Siedlung aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., die zur Stadt Rom wurde und die später dem von ihr regierten Reich und der weit verbreiteten Zivilisation, die das Reich entwickelte, ihren Namen gab) in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts oder den Aktionen der Parteien (Hugenotten), Katholiken und Politiqüs), die im Wesentlichen an den acht französischen Religionskriegen (Die französischen Religionskriege oder Hugenottenkriege des 16. Jahrhunderts) beteiligt waren, sind Namen für eine Zeit des Bürgerkriegs, militärischer Operationen und Religionskrieges, die hauptsächlich zwischen römischen Katholiken und Hugenotten im Königreich Frankreich geführt wurden. In der historischen Analyse lassen sich fünf Grundtypen von Verschwörungstheorien identifizieren, die alle die folgende Reihenfolge aufweisen: Intensivierung der Angst durch Manipulation, Identifikation und falsche Konkretheit. Dies sind die Jesuiten (The Society of Jesus, S.J., SJ oder SI) ist eine männliche Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche mit Ursprung in Spanien ), freimaurerische, kommunistische, kapitalistische und jüdische “Verschwörungen”. Die Anschuldigungen gegen diese Gruppen und die Verfahren der Gegner gingen immer nach dem oben genannten Schema vor, d.h. die potenziellen Ängste der Massen für Familie, Eigentum, Moral oder Religion auszunutzen und so eine totalitäre Massenbewegung herbeizurufen, indem man sich unter falschen historischen Konkretitäten auf die Verschwörergruppe bezog. Als besonderes Beispiel wegen seines enormen politischen Einflusses behandelt Neumann die Theorie der Weltverschwörung der Juden nach den formelhaften Protokollen der Weisen von Zion von 1897 (Die Protokolle der Ältesten von Zion oder die Protokolle der Versammlungen der Gelehrten von Zion ist ein antisemitisch gearbeiteter Text, der einen jüdischen Plan für die Weltherrschaft beschreiben soll). Diese verkünden die Etablierung der jüdischen Weltherrschaft durch Gewalt, Korruption, zerfallenden Liberalismus usw. Dass es sich bei diesen Protokollen um eine Fälschung zaristischer Russen handelt, hat der Berner Prozess (Der Berner Prozess ist ein berühmter Prozess, der zwischen 1933 und 1935 im Rahmen eines Obszönitätsgesetzes in Bern, Schweiz , stattfand) von 1934/35, aber wo liegt dann das dringend benötigte Körnchen Wahrheit, das den Anschuldigungen in den anderen Grundtypen der Verschwörungstheorien innewohnt? Hier beschränkt Neumann seine Analyse auf Nazi-Deutschland (Nazi-Deutschland ist der gebräuchliche englische Name für die Zeit von 1933 bis 1945, als Deutschland von einer Diktatur unter der Kontrolle von Adolf Hitler und der Nazi-Partei regiert wurde): “Seiner Meinung nach war das deutsche Volk am wenigsten antisemitisch. Der Nationalsozialismus (der Nationalsozialismus , besser bekannt als Nationalsozialismus, ist die Ideologie und Praxis der deutschen Nazipartei und des nationalsozialistischen Deutschland des 20. Jahrhunderts sowie anderer rechtsextremer Gruppen) konzentrierte sich daher auf diesen Punkt als zentrale politische Waffe, da sich die relative Unerfahrenheit der damaligen Deutschen mit Feindesbildkonstruktionen und Schmierkampagnen dieser außergewöhnlichen Art leicht nutzbar zu machen schien. Hier ist das Wahrheitselement zunächst religiöser Natur: die Blutschuld der Juden durch die Kreuzigung Christi. Eine historisch-religiöse Verleumdung der Juden bildet somit eine Grundlage, ohne die kein Antisemitismus ausgelöst werden kann. Die Existenz eines letztlich totalen Antisemitismus (Antisemitismus ist Feindseligkeit, Vorurteil oder Diskriminierung von Juden) kann jedoch nur unter Berücksichtigung der NS-Politik und ihrer Integration in das politische System verstanden werden. Deutschland der Jahre 1930-1933 ist ein Land großer Entfremdung und Angst, die Niederlage von 1918, Inflation, Arbeitslosigkeit , Ablehnung des politischen Systems usw. sind Symptome moralischer, sozialer und politischer Obdachlosigkeit. Diese Ängste schürten und stimulierten das Nazi-Regime, und es verwandelte sie in fast neurotische Ängste mit seiner Terrorpolitik und Antisemitismus´. Aber um diese oft gespaltenen Menschen für ihre Ziele voll nutzbar zu machen und sie in ihren eigenen Meinungsbereich zu integrieren, brauchten sie ein Mittel zum Zusammenschweißen. Was könnte natürlicher sein als die Ausbreitung eines Feindes? Der Bolschewismus war zu stark, und die katholische Kirche wurde politisch gebraucht. So blieben die Juden, Ausländer im eigenen Land, trotz ihrer objektiven Schwäche subjektiv als mächtig wahrgenommen und als erfolgreiche Konkurrenten in den wesentlichen – kapitalistischen und kulturellen – Bereichen vertreten. So hatte die These der jüdischen Weltverschwörung ihr Wahrheitselement gefunden, um das historische Bild einer falschen Konkretheit zu unterwerfen. Obwohl es keine Übereinstimmung mit den Fakten gibt, dass verschiedene soziale Schichten eine größere Immunität gegen Antisemitismus haben als andere, gibt es einen Zusammenhang zwischen sozialem Niedergang und Antisemitismus. Die Angst vor sozialer Degradierung schafft somit “einen Ausweg aus Ressentiments, die sich aus einem verletzten Selbstwertgefühl ergeben”. 5. kollektive Angstsituation, Identifikation, Schuld Was sind also die historischen Situationen, in denen Angst als typisches Phänomen Massen erfasst? Bei der Unterscheidung der Schichten der Entfremdung wurde die psychologische Entfremdung bereits oben diskutiert. Dies bleibt bestehen, unabhängig davon, in welcher Gesellschaft sich der Mensch bewegt, und schafft die potentielle Angst, die in der Masse durch die Aufgabe des Ichs überwunden werden soll. Die affektive Bindung an einen Führer wird durch das historische Bild einer falschen Verschwörung, einer Verschwörungstheorie, erleichtert. Aber wann können solche regressiven Massenbewegungen, die die potentiellen Ängste überwinden, so aktiviert werden, dass sie zu einem Spielzeug in den Händen der Führer werden? Die anderen Bereiche müssen erläutert werden: Soziale Angst entsteht durch eine Entfremdung von der Arbeit durch eine Trennung vom Arbeitsprodukt. Wird dieser unvermeidliche Prozess nicht verstanden und akzeptiert, wird versucht, die Arbeit zu “beleben” und zu humanisieren, anstatt sie auf ein Minimum zu beschränken. Nostalgische Ideologien entwickeln sich, und die Vertreter dieser sozialen Schichten (z.B. der “Neüner Mittelstand”) sind besonders anfällig für den Caesarismus. Darüber hinaus erzeugt der ständige soziale Wettbewerb, sein destruktiver Charakter durch die Offenbarung von ständigem Wettbewerb und Abhängigkeit, große soziale Ängste. Die ständige Angst vor Krisen, Degradierung und damit sozioökonomischer Härte kann ebenso wie religiöse oder rassische Konflikte zu Massenbewegungen führen. Soziale Entfremdung allein reicht jedoch nicht aus, sie muss im Kontext der politischen Entfremdung gesehen werden (Politische Entfremdung bezieht sich auf das relativ dauerhafte Gefühl der Entfremdung oder Ablehnung des herrschenden politischen Systems durch den einzelnen Bürger). Der Kern dieser Entfremdung ist eine Form der politischen Apathie: die Erkenntnis, dass man in einem politisch monopolisierten, starren Staat lebt, ohne Massenbeteiligung und ohne die Möglichkeit, dass sich neue Parteien durchsetzen. Wenn diese Apathie im Kontext der sozialen Entfremdung operiert (Soziale Entfremdung ist “eine Bedingung in sozialen Beziehungen, die sich durch einen geringen Grad an Integration oder gemeinsamen Werten und einen hohen Grad an Distanz oder Isolation zwischen Individuen oder zwischen einem Individuum und einer Gruppe von Menschen in einer Gemeinschaft oder Arbeitsumgebung widerspiegelt”), führt sie zur teilweisen Lähmung des Staates und eröffnet, missachtend aller Spielregeln, Wege für kaesaristische Bewegungen. Aber eine solche Bewegung muss nach der Machtergreifung schnell handeln und die aktivierten Ängste institutionalisieren, denn ihre affektive Basis ist sehr instabil. Angst nach der Machterhaltung dient daher als Mittel zur Machterhaltung mit Techniken wie Propaganda, Sanktionen und Terror. Obwohl jedes politische System – so Neumann – auf Angst basiert, gibt es einen deutlichen Qualitätsunterschied zwischen den Formen der Angst. Man kann wahrscheinlich sagen, dass das völlig repressive System depressive und Verfolgungsangst institutionalisiert, aber die halbwegs liberale Ordnung reale Angst. Dass es sich dabei um unterschiedliche Tabus handelt, wird deutlich, wenn man einen Zusammenhang zwischen Angst und Schuld sieht: Angst und ein unbewusstes Schuldgefühl koexistieren. Durch die Schaffung neurotischer Ängste muss ein Leiter diejenigen, die er führt, so eng an sich selbst binden, dass sie ohne ihn nicht mehr existieren könnten. Er ordnet daher die Begehung von Verbrechen an, die nach der herrschenden Moral keine schändlichen, sondern legitime Handlungen sind. Das Gewissen des Menschen, das Über-Ich (Id, Ego und Über-Ich sind die drei Teile des psychischen Apparats, der in Sigmund Freuds Strukturmodell der Psyche definiert ist; es sind die drei theoretischen Konstrukte, in deren Aktivität und Interaktion unser mentales Leben beschrieben wird), protestiert jedoch gegen diese falsche Moral, denn die alten moralischen Ansichten sind nicht leicht zu vergessen. So muss das Schuldgefühl unterdrückt werden und macht die Angst fast zur Panik, die den Menschen zunehmend als feste Größe an seinen Führer bindet. Diese Angst ist nur einem völlig repressiven Zustand inhärent und unterscheidet sich daher qualitativ grundlegend von jedem anderen politischen System. Die psychologische Entfremdung – und die Entfremdung des Egos von der Struktur der Triebe, d.h. der Verzicht auf Triebe – ist jeder historischen Gesellschaft eigen. Sie wächst mit der modernen Industriegesellschaft und erzeugt Angst. Dies kann schützend, zerstörerisch oder kathartisch sein. 2. Neurotische Verfolgungsangst kann zu einer Kapitulation des Egos in der Masse durch affektive Identifikation mit einem Leiter führen. Diese kaesaristische Identifikation ist immer regressiv, sowohl historisch als auch psychologisch. 3 Ein wichtiger Hinweis auf den regressiven Charakter ist das historische Bild der falschen Verschwörung – die Verschwörungstheorie. Ihre besondere Gefahr liegt im Körnchen der Wahrheit, das im Bild der Geschichte enthalten ist. Der Anstieg von Angst zu Angst vor Verfolgung gelingt, wenn einer Gruppe – Klasse, Religion, Rasse – der Verlust des Status droht, ohne den Prozess zu verstehen, der ihrer Erniedrigung zugrunde liegt. Dies führt in der Regel zu politischer Entfremdung, d.h. zu einer bewussten Ablehnung der Spielregeln eines politischen Systems. 6) Die regressive Massenbewegung, die an die Macht kommt, muss die Angst institutionalisieren, um die Identifikation von Führern aufrechtzuerhalten. Die drei Methoden sind: Terror, Propaganda und, für die Anhänger des Führers, das allgemeine Verbrechen. Aber was kann man tun, um zu verhindern, dass eine Angst in eine neurotisch-destruktive Form übergeht? Das kann sich der Staat nicht leisten, denn er kommt aus seinen eigenen Missständen und müsste zunächst auf einer – nicht existierenden – rationalen Menschheit beruhen, zum Beispiel auf der Grundlage des kategorischen Imperativs (Der kategorische Imperativ ist das zentrale philosophische Konzept in der deontologischen Moralphilosophie von Immanuel Kant), um diese bessere Menschheit begründen zu können. Ähnlich verhält es sich mit den Erziehern: Wie kann eine theoretische Kultur eine praktische Kultur hervorbringen, wenn sie das Praktische als Voraussetzung braucht? Wie kann sich ein edler menschlicher Geist zur Verbesserung des Politischen entwickeln, wenn er unter dem Einfluss einer barbarischen Staatsverfassung steht? Die idealen Lösungen sind für die breite Öffentlichkeit utopisch, die Trennung des Künstlers oder der “Liebenden” von der Angst mag eine individuelle Lösung sein, aber sie können unser Problem nicht lösen. So bleibt für den Universitätsbürger und den Bürger nur die bildungspolitische Verantwortung, Ängste zu bekämpfen und die Freiheit zu verteidigen. Die Durchdringung der Wissenschaft mit den Problemen der Politik und Aussagen zu politischen Fragen sind ein Ziel, das immer verfolgt werden muss. Mit öffentlichem Auftreten, mit Reden und Schreiben muss eine Humanisierung der Politik gefördert werden, eine Chance für Demagogen muss auf jeden Fall verhindert werden. Ich übernehme keine Haftung für die Ausgabequalität, Kompatibilität und Vollständigkeit der Dateien und deren Inhalte.